AuslandESK-Freiwilligendienst

Ein Jahr in der Käsestadt

Hallo!

Mein Name ist Lara und ich mache derzeit in den Niederlanden meinen ESK-Freiwilligendienst. Ich komme aus Feldkirch und lebe zurzeit in der Stadt, die sich selbst als The Capital of Cheese bezeichnet, Gouda. Hier arbeite und lebe ich mit Menschen mit einer psychischen oder physischen Beeinträchtigung. Ja, richtig gehört. Meine „Roomies“ sind Menschen mit Downsyndrom, Autismus oder anderen psychischen Beeinträchtigungen. Was dem ganzen Zusammenleben definitiv einen sehr süßen Flair gibt. Wir leben alle zusammen in der Ark Gouda. Wir teilen uns Wohnzimmer, Küche und Waschräume. Alle Bewohner*innen haben ein eigenes Zimmer sowohl als Ruheort als auch um ein klein wenig Privatsphäre zu schaffen. Also eigentlich wie eine große WG. Einziger Unterschied zu einer „gewöhnlichen“ WG ist, dass du als Freiwillige in kürzester Zeit die Sprache deiner Mitbewohner*innen lernen musst und keine Gnade bei deinem Lernprozess gezeigt wird. „Neeee, warum denn Lara? Es gibt doch nur eine Sprache auf der Welt und das ist Niederländisch! Deutsch ist nur eine Adaption! Und wann kommst du meine Zähne putzen?“, war die Antwort meines Mitbewohners mit Downsyndrom auf meine Frage, ob er denn nicht auch ein bisschen Deutsch lernen will, wenn ich schon für ihn Niederländisch lernen muss.

Aber jetzt kurz etwas zu der Arche selbst. „De ARK“ ist eine große Organisation mit Standorten überall auf der Welt. Ursprünglich kommt das Konzept aus Frankreich, aber natürlich hat diese ungewöhnliche, aber doch unfassbar großartige Art des Zusammenlebens nicht lange gebraucht, um sich weltweit zu etablieren. Grundidee einer Arche ist es, dass Menschen ohne psychische Beeinträchtigung mit Menschen mit psychischer Beeinträchtigung leben und voneinander lernen. Es entsteht so eigentlich eine fast familiäre Gemeinschaft. Jeden Tag miteinander essen, Zeit verbringen und über Probleme reden, gleicht schon sehr dem Zusammenleben einer normalen Familie.

Nun zu mir und meiner Rolle in dieser Familie. Warum habe ich mich für den ESK-Freiwilligendienst entschieden und warum wollte ich mit Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten? Die Geschichte reicht eigentlich ein paar Jahre zurück, als ich mit meinem Papa auf der Couch saß und wir eine Werbung von UNICEF anschauten. Die Werbung war sehr berührend und mein Papa hat damals zu mir gesagt, wenn ich je einen Freiwilligendienst machen möchte, würde er mich zu 100% unterstützen. Das blieb hängen. Ein paar Jahre später und mit der Matura in den Händen hatte ich keine Ahnung, was ich in meinem Leben eigentlich erreichen wollte. Ich wusste nur eines: „Ich möchte Menschen helfen“. Darum ging ich auf die Suche nach Möglichkeiten, im Ausland einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Zuerst hatte ich Afrika, Thailand oder auch Südamerika auf dem Radar, bis mein Papa mir das Konzept des ESK vorstellte. Ich war schnurstracks in die Idee verliebt, in der EU, nicht ganz so weit weg von Mama und Papa, einen Freiwilligendienst zu absolvieren.

Wir schrieben Freitag, den 3. Juni, als ich mich am Abend aus Langeweile bei der Website des ESK eingeloggt hatte und mir das Angebot der Ark Gouda ins Auge stach. Standort: Gouda. Meine Computermaus wanderte zu „neue Seite öffnen“, klickte drauf und gab „Gibt es eine Stadt namens Gouda“ in Google ein und es gab sie! Ich musste so sehr lachen, dass es auf der Welt echt einen Ort gibt, der nach meinem Lieblingskäse benannt ist. Wieder zurück auf der ESK-Website las ich das Angebot der Arche durch und war auch hier wieder auf den ersten Blick verliebt. Klar, der Dienst klang unglaublich intensiv. Mit den Menschen mit Beeinträchtigung leben und (im Gegensatz zu anderen Freiwilligendiensten) noch dazu viele Stunden arbeiten, klang nach harter Arbeit. Aber um ehrlich zu sein, hörte sich das für mich persönlich gar nicht so schlecht an. Ich mag es, immer etwas zu tun und nicht ständig Netflix zu schauen. Und jetzt, fast ein Jahr später, kann ich mit Stolz sagen, es war die beste Entscheidung meines Lebens, diesen Dienst angetreten zu haben. Nicht nur arbeite ich unglaublich gerne mit den Hausbewohner*innen zusammen, sondern ich habe auch unter anderem echte Freunde fürs Leben gefunden, die mein Jahr in den Niederlanden verschönert haben.

Die Arbeit mit den Menschen mit Beeinträchtigung gibt dir so viel mehr zurück, als man denkt. Das Glücksgefühl am Anfang, wenn sie zum ersten Mal deinen Namen sagen oder dich umarmen, weil sie fühlen, dass du keinen guten Tag hast, ist unbeschreiblich. Es lässt dich die kleinen Dinge im Leben wertschätzen. Der Kaffee am Morgen, das Tanzen zur Musik oder auch das „Goedenacht en slaap lekker“ (= Gute Nacht und schlaf gut). Und nicht zu vergessen die Präsenz oder die Vertrauensperson, die wir als Freiwillige für diese Menschen darstellen. Du lernst auch als Mensch unglaublich viel in diesem Jahr. Du lernst, wie schnell Leute von dir lernen und wie schnell du von anderen lernst. Du lernst, wie wichtig es ist, da zu sein für deine Mitmenschen. Du lernst leider aber auch, wie ausgeschlossen und vergessen Menschen mit Beeinträchtigung oftmals in unserer Gesellschaft sind.

Ich könnte noch Seiten füllen, wie sehr ich diese Arbeit liebe oder wie viel ich in diesem Jahr über Zusammenhalt, Vergessenwerden oder einfach nur Liebe gelernt habe. Aber hier meine Schlusssätze: Dieser Freiwilligendienst hat dazu geführt, meine Studienrichtung ins Soziale zu ändern und auch neben meinem Studium weiter Freiwilligendienste zu machen. Es hat mir gezeigt, wer ich bin und mit welchem Motto ich durch die Welt gehen will: Mensch ist Mensch. Behandeln wir auch alle so.