Nach einer schier endlosen und doch auch irgendwie viel zu kurzen Busfahrt erreichten wir am Morgen des 24. Juni 2019 die kleine Hafenstadt Livorno. Als ich meine Füße auf die Fähre setzte, die uns auf die kleine Mittelmeerinsel namens Capraia chauffierte, wurde mir erst bewusst, was ich hier eigentlich mache: Den ganzen Sommer auf einer 400 Einwohner Insel im Mittelmeer verbringen, weit weg vom schönen Bregenzerwald, um zu arbeiten, ohne der gesprochenen Sprache wirklich mächtig zu sein. Mit dem Betreten der Insel verflogen die Sorgen jedoch schnell und es breitete sich ein Glücksgefühl in mir aus. Mir wurde auch bewusst, dass ich innerhalb von fünf Minuten, also wortwörtlich vor der Haustür, das Meer vorfinde, und so kam es auch, dass ich bis auf drei (Regen)Tage im ganzen Sommer, jeden einzelnen Nachmittag am Meer verbrachte. Ich wohnte mit zwei Schulkolleginnen zusammen in einer kleinen Wohnung, die den vielversprechenden Namen „canali“ trug. Minimalistisch. Ja, dieses Wort beschreibt unsere Unterkunft am besten. Neben Betten und einem Bad mit Dusche und WC gab es noch unsere selbst ernannte „Snackbar“, welche aus dem Fenstersims des einzigen Fensters in der Wohnung bestand und wo wir unser Seelenfutter lagerten.
Nun zu der Insel selbst: Wie schon erwähnt, leben rund 407 Menschen (laut Wikipedia, nachgezählt habe ich nicht 😉) auf der Insel. Im Sommer sind es einige mehr, da viele auf die Insel kommen, um, wie wir, im Tourismus zu arbeiten. Die Einheimischen, die „Capraianer“, haben die typische italienische Lebenseinstellung, vielleicht sogar noch ein bisschen ausgeprägter als im Rest des Landes. Wir fühlten uns sofort wohl und man hat uns sozusagen gleich in die Familie aufgenommen. Bei der ersten Einkaufstour auf der Insel (viel Auswahl besteht nicht, es gibt zwei kleine Lebensmittelläden) schnappten wir uns das erste Mineralwasser, das uns ins Auge stach und wollten an der Kassa bezahlen. Der Ladenbesitzer machte uns jedoch mit Händen und Füßen verständlich, dass wir das andere Wasser nehmen sollten, da es billiger sei. Zudem bekamen wir bei unseren nächtlichen Ausflügen in das Nachtleben der kleinen Insel den sogenannten Insulanerpreis, wodurch wir uns wohl den einen oder anderen Caipi(rinha) mehr gönnen konnten.
Da die meisten weder Livorno, geschweige denn Capraia geografisch zuordnen können, antworte ich auf die Frage „Wo ischt das denn?“ immer damit, dass die Insel neben Korsika und Elba liegt, so kann sich ein Großteil zumindest grob vorstellen, von was ich rede. Durch die mediterrane Lage im Mittelmeer herrscht im Sommer subtropisches Klima. Das heißt, dass es tagsüber heiß bis sehr heiß ist (zwischen 28 und 35 Grad untertags) und in der Nacht um die 20 bis 25 Grad herrschen. Typisch für dieses Klima ist auch die Flora auf Capraia, die größtenteils aus Büschen, Sträuchern, Gräsern, Kakteen sowie Pinien und Feigenbäumen besteht. Vereinzelt findet man auch Granatapfelbäume. An Land gibt es neben den Mufflons auch Ziegen, sowie verschiedene Vögel, Insekten und Echsen. Im Wasser kann man beim Schnorcheln oder Tauchen die vielen verschiedenen Fischarten beobachten, jedoch muss dabei auf Quallen und Seeigel aufpassen. Mit ersteren durfte ich zwei Mal auf Tuchfühlung gehen, einmal am Oberarm und einmal am Knöchel. Von Seeigeln wurde ich, hier ein Dankeschön an meine Badeschuhe, glücklicherweise verschont. Quallen sind jedoch nicht immer und vor allem nicht immer im gleichen Ausmaß vorhanden, da kommt es auf die Wetterlage und die Strömungen an.
„cinque minuti“ „con calma“: Diese Worte kamen uns mehrmals täglich zu Ohren. Wobei cinque minuti mit „glei“ gleichgesetzt werden kann. Dies kann einmal den wörtlichen Sinn, also fünf Minuten bedeuteten, je nach Situation aber auch mehrere Stunden. Wenn es beim Arbeiten manchmal stressig wurde, rief irgendjemand von irgendwo her wieder einmal „con calma“ was so viel bedeutet wie „Ruhe bewahren“. Mit dem Arbeiten fingen wir am zweiten Tag nach der Ankunft an. Wir wurden wortwörtlich ins kalte Wasser geworfen: Man drückte uns umgehend Stift und Block in die Hand, womit wir dann die Bestellungen der Gäste versuchten aufzuschreiben. Dies klappte dann eh besser als gedacht und so ging es dann auch den Sommer über weiter. Ich war im Service eingeteilt und wechselte mit einer Kollegin immer zwischen Früh- und Spätdienst ab. Der Frühdienst dauerte von 8.30 bis 12.30 und 16.30 bis 20.30 Uhr. Der Spätdienst hingegen von 10.30 bis 15.30 Uhr und von 20.30 Uhr bis Schluss. „Schluss“ konnte Mitternacht aber auch 3 Uhr nachts bedeuten, abhängig von der Trinkfreudigkeit der Gäste. Mir persönlich gefiel der Frühdienst besser, da man nachmittags immer frei hatte, um baden zu gehen, und am Abend auch wieder frei hatte, um etwas trinken zu gehen. Das Zimmer zum Übernachten wurde von der Bar bereitgestellt, ebenso Essen und Trinken. Wir schlugen uns also jeden Tag die Bäuche voll. Neben unseren geliebten Cornetti al cioccolato (Schokocroissants), verschlangen wir außerdem mehrere Orangen pro Tag, um unseren Vitaminhaushalt aufzufüllen, aber auch unzählige Kugeln Mozzarella, Kiloweise Tomaten, Zucchini und Auberginen landeten in unseren Mägen und nach Dienstschluss gönnte ich mir entweder ein Cornetto Choc N’Ball oder ein Magnum-Sandwich Eis. Abends gab es immer, bis auf drei oder vier Abende Penne. Die Sauce dazu konnten wir auswählen. Zur Auswahl gab es grünes Pesto, Ragù (Fleischsauce), Tomatensauce oder Pulpo (Tintenfischtentakel). Dazu machten wir, vorausgesetzt man hatte genug Tomaten da, Tomatensalat mit Mais, Mozzarella und Eisbergsalat. Eine Angewohnheit der Italiener, welche ich übernommen habe, ist, dass zu jedem Gericht (Weiß)Brot gegessen wird. Auch das italienische Temperament durften wir am eigenen Leib miterleben. Während sich in einem Moment alle abschmusten und liebhatten, flogen im nächsten Moment im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen. Jedoch war die schlechte Laune nicht von langer Dauer und im nächsten Augenblick fielen sich alle wieder um den Hals.
Fazit: Mein Sommer auf Capraia war einmalig und unvergesslich und ich würde jedem empfehlen, einmal (oder mehrere Male) für eine Zeit, sei dies ein Monat, sechs Monate oder länger ins Ausland zu gehen. Man lernt neue Leute kennen, lernt eine neue Sprache, eine neue Kultur und Kulinarik und eine ganz andere Lebenseinstellung kennen. Zudem entwickelt man sich weiter und wird selbstständiger.