Ausland

 Leid, Hoffnung und Dankbarkeit

Leid

Das Haus des M. DIALLO schaut nicht gut aus. Weder von außen noch von innen noch von oben. M. DIALLO hat uns einen Brief geschrieben. Er bittet uns um 3 neue Türen bei seinem Haus. Es ist Jänner, ich bin jetzt schon 3 Monate im Lepradorf Mballing, habe schon über 60 Familien besucht, habe schon viel gesehen. Doch M. DIALLO beeindruckt mich, denn er möchte 3 neue Türen. 3 neue Türen für ein Haus, das in Österreich vielleicht noch als Ziegenstall genutzt werden würde. 3 neue Türen für ein Haus, das Handflächen-große Löcher im Dach hat. 3 neue Türen für ein Haus, in dem 5 Kinder in einem Zimmer auf 2 x 2 Meter leben. 3 neue Türen für ein Haus, bei dem die Türen das geringste Problem darstellen sollten.

M. DIALLO ist 70 Jahre alt. Er ist schwer leprös, hat kein Gefühl mehr in seinen Fingern. Täglich geht er zum Strand und hilft den Fischern, die Boote aus dem Wasser auf den Strand zu schieben. Vom Trinkgeld lebt er. 1€ reicht in Österreich mit gut Glück für einen Apfelsaft im Supermarkt. 1€ verdient M. DIALLO am Tag. Er und sein zweiter Sohn sind die einzigen in der Familie, die Geld verdienen. Seine psychisch kranke Frau verdient nichts, seine erste Tochter ist seit Kurzem arbeitslos, seine zweite Tochter hat schwere Verbrennungen, ist psychisch krank und wird ihren nächsten runden Geburtstag womöglich nicht erleben. Sein erster Sohn ist nach Spanien geflüchtet, vier weitere seiner Kinder gehen noch zur Schule. Mir seinen Enkeln wohnen 15 Personen auf dem Grundstück. M. DIALLO fragt mich, ob wir ihm die Bitte nach 3 neuen Türen erfüllen können.

Hoffnung

Ich sage ja. Nach Absprache im Verein können wir nicht nur seiner Bitte nach 3 neuen Türen nachkommen. M. DIALLO wird ein neues Dach bekommen. Er wird einen neuen Boden bekommen, er wird einen neuen Verputz bekommen, er wird neue Möbel bekommen. Er bekommt schon seit längerem Lebensmittelgutscheine, die etwa 2/3 seines Einkommens entsprechen.

Es sind sehr komische Gefühle, die man in solchen Momenten hat. Wenn man die ärmsten Familien in einem sowieso schon armen Dorf findet. Das Leid dieser Familien lässt sich beschreiben, aber nicht vorstellen aus einem Sessel im klimatisierten Büro in Österreich. Und doch spürt man eine innere Freude, eine tiefe Hoffnung. Denn wir können dieser Familie helfen.

Dankbarkeit

M. DIALLO hat Tränen in den Augen. Er verspricht, für uns zu beten. Inshallah. Er wird weiterhin jeden Tag arbeiten, bis er nicht mehr kann. Doch er muss sich keine Sorgen mehr machen, dass sein Dach nachgibt, dass seine Wände zusammenstürzen oder um seine 3 Türen. Auch ich empfinde Dankbarkeit. Jedoch, so wenig wie ich mir seine, kann er sich in diesem Moment vermutlich meine Dankbarkeit vorstellen. Dankbarkeiten, die nicht verschiedener sein könnten.

Von Oktober 2022 bis April 2023 hatte ich die großartige Möglichkeit, im Lepradorf Mballing im Senegal bei den beiden Vereinen „Leprahilfe Senegal“ und „Wissen macht Stark“ mitzuarbeiten. Der Verein „Leprahilfe Senegal“ unterstützt die Menschen vor Ort, insbesondere Leprakranke, durch Lebensmittelgutscheine, Bauhilfen, Sachspenden, Sozialwohnungen, medizinische Unterstützung und in vielen weiteren Bereichen. „Wissen macht Stark“ bezahlt derzeit die Schulgebühren von mehr als 350 Schülern, hat eine Schule für rund 600 Grundschüler im Bau, führt eine eigene Nähschule, versorgt junge Mütter mit Hilfsgütern und hilft ebenso in vielen weiteren Situationen.

Meine Aufgabe vor Ort lässt sich kurz mit „Koordination und Organisation dieser Arbeiten gemeinsam mit den Vereinsmitarbeitern im Senegal“ zusammenfassen. In dieser Zeit konnten wir entscheidende Fortschritte bei der Konstruktion der Grundschule erreichen, mehrere Zimmer renovieren, die Sachspenden des Containers 2023 verteilen, mehr als 50 neue Patenschaften vergeben und über 150 Familien persönlich besuchen. Auch wenn die Arbeit oft schwer im Magen lag, so war sie doch unglaublich erfüllend und lehrreich. Dabei bleiben besonders Einzelschicksale, wie jenes von M. DIALLO, in Erinnerung. Und dennoch überwiegt die Genugtuung, dass wir diesem Menschen und seiner Familie helfen konnten. So wie vielen weiteren. Das Dorf, die beiden Vereine, die Arbeit, aber ganz besonders die Menschen vor Ort sind mir mit der Zeit sehr ans Herz gewachsen. Es war mir eine Freude! Dankeschön!