„Ma jo wia heaschs denn kha?“ lautet oft die Frage, die man bekommt, wenn man gerade 10 Monate im Ausland verbracht hat. Und so gut die Frage gemeint ist, so schwer ist sie zu beantworten.
Es lässt sich nur schwer beantworten, was es mit einem macht, wenn man mit 19 Jahren allein ans andere Ende der Welt zieht und sich dort ein neues Leben aufbaut. Gar unmöglich ist es aber in einer flotten Antwort. Meine Standardantwort war immer „Mega cool, i täts sofort wieder macha“. Damit werde ich dieser Erfahrung aber in keinster Weise gerecht.
Hier werde ich ein bisschen eine ausführlichere Antwort liefern:
13 Jahre habe ich, wie wahrscheinlich viele von euch, die Schulbank gedrückt, die Mama hat mir die Jause eingepackt und die größte Herausforderung in meinem Leben waren die Statik-Schularbeiten, die ich meistens verkackt habe. Hier wird oft der Begriff der Komfortzone verwendet. Gemütlich ist es hier. Nicht viel Verantwortung, nicht allzu viele Herausforderungen – gemütlich halt. Aber eben auch bisschen langweilig, oder nicht?
Der Gedanke, zehn Monate im Ausland zu sein klingt daher sehr aufregend für mich als 17-jährigen HTLer. Das noch in Kombination mit einer sinnvollen Arbeit klingt doch perfekt. Und genau das pitcht mir Daniel, ein junges Mitglied des österreichischen Auslandsdiensts in einer Online-Konferenz für Interessierte, während ich auf meinem zweiten Bildschirm Bayern gegen BVB live mitverfolge.
Normal ist die Aufmerksamkeit immer zu 100 % bei meinem FC Bayern, aber an diesem Abend beginne ich zu träumen. Zivildienst in Kanada in einem Holocaust Education Centre. Klingt doch ganz cool. Englisch kann ich, Geschichte find ich ultra nice, nach Kanada wollt ich eh immer schon mal. Die Arbeit ist richtig sinnvoll. Let’s do it. Das erste Gefühl, das ich spüre auf meiner Reise, ist Abenteuerlust. Die Lust auf etwas Neues, Unbekanntes. Raus aus dem gemütlichen Zuhause und hinaus in die weite Welt.
Die Wochen und Monate vergehen. Diplomarbeit, Matura und der ganze restliche Quatsch ist endlich abgehakt. Bald geht’s los.
Das zweite Gefühl, das ich verspüre, ist Unsicherheit. Es sind nur noch wenige Wochen, bevor ich meine große Reise antreten soll, und ich mache mir ein wenig in die Hose. Aber was, wenn ich keine Wohnung oder Freunde finde? Ich werde zu Hause doch so viel verpassen!! Kann ich überhaupt gscheid kochen?? Man bekommt Zweifel, weil eben jener Schritt aus der Komfortzone, der zuerst so cool wirkte, auf einmal sehr ernst ausschaut.
Ich habe den Schritt aber trotzdem gemacht. Nachdem beim Abschied alle ordentlich geheult hatten, gings dann endlich los. Raus in die weite Welt.
Jetzt drei Jahre später kann ich mit guter Gewissheit sagen, dass es eine der besten Entscheidungen war, die ich bisher in meinem (zugegebenermaßen kurzen) Leben getroffen habe. Ihr denkt euch sicher „jaja halt mal dein Maul, es sind 10 Monate, jetzt übertreib mal nicht“. Was wird sich da schon groß verändern?
Und ja, ihr habt auch recht. Ich werde euch jetzt nicht erzählen, dass ich als ganz anderer Mensch nach Hause gekommen bin. Natürlich nicht. Ich bin immer noch der Samuel, mit all seinen Ecken und Kanten. Trotzdem habe ich aber unglaublich viel gelernt und mich unglaublich weiterentwickelt. Gewisse Charaktereigenschaften sind weniger ausgeprägt, andere mehr. Die Sicht auf die Welt und mich selbst hat sich verändert.
Zum einen hat das ganz simpel mit meiner Arbeit zu tun gehabt. Ich habe zum Beispiel während meiner Zeit in Toronto tagtäglich mit Holocaust-Überlebenden zusammengearbeitet und richtige Freundschaften mit ihnen entwickelt. Und let me tell you. Von denen kann man einiges lernen. Kleines Beispiel: Die einfachen Dinge schätzen. Klingt immer wie so ein dummes Klischee – jaja machen wir eh alle. Logisch
Habe ich mir auch gedacht. Ich bedanke mich doch eh immer brav für alles und weiß, dass ich in Österreich in einer privilegierten Welt aufwachse. Klar.
Wenn du dann aber gegenüber einer Person sitzt, die dir erzählt, dass kein einziges Mitglied ihrer Familie überlebt hat, oder dass das Einzige, was sie zu essen hatten, schimmlige Karotten waren, dann siehst du die Dinge dann doch mit anderen Augen. Dankbar sein, für was man hat und es nicht als selbstverständlich ansehen. Das habe ich wirklich gelernt während dieser Zeit. Wir alle denken, wir tun‘s. Ist aber nicht wirklich so.
Das ist eines von vielen Dingen, die ich von meiner Arbeit mitgenommen habe. Ich könnte noch Stunden erzählen. Aber auch ganz unabhängig davon, was ihr dann effektiv im Ausland macht, verändert euch diese Erfahrung. Ihr müsst nicht mit Holocaust-Überlebenden reden. Es ist scheiß egal, was ihr macht. Ich empfehl‘s euch nicht, aber ihr könnt auch fucking Barkeeper sein und 10 Monate lang Vodka Bulls ausschenken.
Aber meine These steht: Das, was euch wirklich verändert, ist, einfach mal weg von zu Hause zu sein. Vielleicht mit 1-2 Kollegen, aber im besten Fall allein.
Dazu eine kleine Anekdote. Als ich wieder heimkam von Toronto, bin ich nach Wien gezogen für mein Studium. Einige Kollegen von mir taten es mir gleich. Und für sie war das ein großer Schritt. Von Götzis nach Wien. Puh. Die waren ordentlich nervös. Und ich? Pfff Wien. Da bin ich ja in 7 Stunden zu Hause. Die können dort ja alle Deutsch. Das ist ja ein Pipifax. Was soll da bitte schief gehen.
Und das ist einfach eine generelle Einstellung, die ich bis heute mit mir trage: Ich bin mit 19 Jahren alleine ans andere der Welt gezogen und habs gemanaged. Was soll bitte jetzt noch kommen, das mich aus der Ruhe bringt, wenn ich DAS geschafft hab. Es gibt einem ein unglaubliches Selbstvertrauen.
Ich kann euch wirklich nicht sagen, wann ich das letzte Mal nervös war. Ich schwöre. Nach Wien ziehen? Pff. Große Uni Prüfung? Juckt. Einen Freund im Senegal besuchen für 6 Wochen? Haut schon hin. Ihr werdet euch VIEL mehr trauen in eurem späteren Leben, wenn ihr in jungen Jahren diesen Schritt aus der Komfortzone wagt. Jeder der diese Erfahrung gemacht hat, wird euch das bestätigen.
Ich habe während meiner Zeit in dem Holocaust Education Centre auch für mich gemerkt, wie glücklich es mich macht, für eine sinnvolle Sache einzutreten, die der Welt was bringt. „The greater good“ sagt man da im Englischen immer so schön.
Ich habe entschieden, in die Politik gehen zu wollen und habe mein Studium dementsprechend gewählt. Ja ,isn scheiß Job, ich weiß es doch auch, aber hey – haut schon hin. Ich vertrau mir da.
Vor fünf Jahren war ich genau in eurer Situation. Schule dies das Ananas, nicht wirklich Ahnung, was ich mit meinem Leben machen soll blabla. Aber ganz egal in welcher Situation ihr jetzt seid, ich kann euch nur ans Herz legen, nach der Matura genau die Dinge zu machen, die ich gemacht habe, oder die euch sonst ins Ausland führen.
Weg von zu Haus, raus aus dem Schulalltag, raus aus der Komfortzone, etwas Neues machen, im besten Fall etwas Sinnvolles machen. Die Welt spielt sich nicht nur zwischen Bregenz und Wien ab. Egal, was ihr macht – ihr werdet euer Leben lang davon profitieren.
Jeder von euch kann das. Traut euch. Es haut schon hin.