Ein Zeitungsartikel über den Europäischen Freiwilligendienst (neu ESK-Freiwilligendienst) hat mein Interesse geweckt und meinen Entschluss bekräftigt, für ein paar Monate ins Ausland zu gehen. England hat mir immer schon gefallen und auch meine Reisen in den letzten Jahren gingen immer wieder auf die Insel. Etwas Glück war dann aber natürlich auch dabei, da die wenigen Freiwilligenplätze in England sehr begehrt sind. Das Glück war auf meiner Seite, als ich die Zusage von Treloar Trust, einem Projekt in Südengland bekommen habe.
Nach allen Vorbereitungen zu Beginn des Jahres, ging es dann endlich am 29.01.2018 von Zürich nach London. Die ersten Tage waren sehr spannend. Alles ist aufregend und man trifft so viele neue Leute. Normalerweise hat dieses Projekt im September zu Schulbeginn angefangen, da ich aber zuerst noch meine Matura abgeschlossen habe, bin ich erst im Februar dazugestoßen. Wir waren insgesamt 10 Freiwillige aus der ganzen Welt (2 Vorarlberger, 1 Italienerin, 2 Mädls aus Dänemark, 1 aus Berlin, 1 Mexikaner, 1 aus Ghana, 1 aus Süd-Korea und 1 aus Bolivien). Wir haben uns eigentlich immer mehr oder weniger gut verstanden und so ziemlich jeden Abend miteinander verbracht. Neben zahlreichen Kartenspielen und Filmen, haben wir auch zusammen gekocht oder gefeiert.
Das Projekt Treloar Trust ist eine Schule und ein College für SchülerInnen mit einer Beeinträchtigung. Gesamt werden 150 SchülerInnen dort unterrichtet, die auch gleich neben dem Hauptgebäude wohnen. Fast alle benötigten einen Rollstuhl zur Fortbewegung und Hilfsmittel für die Kommunikation. Faszinierend fand ich das an der Schule wirklich jedes einzelne Kind individuell hergestellte Geräte und Stühle hatte. Auch die Art, wie sie kommunizieren ist von SchülerIn zu SchülerIn unterschiedlich. Als MitarbeiterInnen haben wir viele „Ja und Nein“ Fragen gestellt. Eine meiner Schülerinnen konnte mit dem Kopf nicken oder ihn schütteln, eine andere konnte die Antwort sprechen, zwei andere haben nach rechts für Ja und nach links für Nein geschaut, ein anderer hatte das Ja oder Nein auf seinen Rollstuhltisch berührt und der letzte meiner Schüler hat für Ja den Arm gehoben und für Nein gesenkt. Jede/r SchülerIn hat auch ein Kommunikationsbuch, mit vielen Bildern, dass jede/r verschieden verwendet. Viele haben auch eine Art IPad welches die meisten mit den Augen steuern, das war wirklich interessant zuzusehen.
Unser Wohnhaus stand direkt neben dem Schulgebäude. Jede/r Freiwillige hatte ihr/sein eigenes Zimmer, aber Küche und Co. wurde mit den ca. 20 anderen MitbewohnerInnen (fast nur Spanier) geteilt. Zum Glück gab es nicht nur ein Badezimmer, sondern ca. 10 Stück. Die Schule steht in einem kleinen Ort namens Alton, eine Stunde und 20 Minuten von London entfernt. Alton war zwar schon ziemlich schön, gut für Spaziergänge, aber etwas zu abgeschnitten für meinen Geschmack. Das Stadtzentrum war zu Fuß eine gute halbe Stunde entfernt – gut, dass wir Fahrräder bekommen haben. Zum Glück gab es auch auf unserem Schulgelände so einiges zu unternehmen. Ein Basketballfeld, welches wir verwenden konnten oder ein kleiner Fitnessraum. Ein Schwimmbad oder kostenloser Yogaunterricht stand uns auch zur Verfügung. Manchmal mieteten wir unsere Sporthalle, um dort am Wochenende etwas Tischtennis zu spielen.
Mein ICYE Camp hatte ich Mitte Februar in London. Dort lernte ich sehr viele andere Freiwillige kennen, die in verschiedenen Projekten in ganz England verstreut sind. Bei denen konnte ich dann später bei meinen Reisen übernachten. Auch beim On-Arrival-Camp des Programmes in Liverpool lernte ich noch mehr Freiwillige kennen. Als ich dann zum Beispiel in Birmingham ein Musical ansehen wollte, konnte ich anschließend kostenlos bei zwei Freiwilligen übernachten, die ich im Camp kennengelernt habe.
Bei meinem Projekt in der Schule war ich immer in der gleichen Schulklasse und habe dort die sechs SchülerInnen dieser Klasse im täglichen Schulleben unterstützt. Die Lehrerin war sehr motivierend, positiv und geduldig mit jedem/jeder SchülerIn. Die Art des Schulunterrichts kann natürlich nicht mit dem Unterricht in einer Schule für Kinder ohne Beeinträchtigung verglichen werden. Wir hatten Fächer wie Sport, Werken, Musik, Mathe, Zeichnen oder „Form Time“, wo sich die SchülerInnen selbst aussuchen konnten, was sie machen möchten. Meistens haben wir dann irgendwelche Youtube Lieder angesehen und dazu herumgetanzt, aber manchmal gab es auch einen speziellen Wünsch eines Schülers: Er wollte, dass ich mit ihm raus gehe und er mir beim Basketballspielen zusieht, da sein Bruder auch Basketball spielt. Es gab auch jeden Montagvormittag ein Fach namens „Community skills“, bei dem wir einen Ausflug in ein Gartencenter oder Park machten. In den sechs Monaten habe ich auch ein wenig eine Zeichensprache namens Makaton gelernt, welche besonders verständlich für Personen mit Beeinträchtigung ist.
Ein wichtiges Ziel der MitarbeiterInnen ist es, die SchülerInnen bei guter Laune zu halten. Der Spaß stand auch bei den zwei Theaterstücken im Vordergrund, welche wir auf der Schulbühne aufgeführt hatten. Die Arbeit in der Schule war sehr abwechslungsreich, jeder Tag war anders. Wir haben Entenküken beim Schlüpfen beobachtet, auf der großen Schaukel, die extra für Rollstühle ist, geschaukelt oder draußen im Garten Blumen für ein Blumenarmband gesammelt.
Am Wochenende hieß es dann reisen, reisen, reisen. So ziemlich jede größere Stadt in Südengland habe ich gesehen, wobei man sagen muss, dass viele Städte ziemlich ähnlich aussehen. Von Plymouth im Westen, über Exeter, Bristol, Cardiff, Bath, Oxford, Cambridge, Salisbury, Basingstoke, Southampton, Winchester, Bournemouth, Isle of Wight, Portsmouth, Brighton, Canterbury, … und unzählige Male war ich in London. Stonehenge habe ich auch besucht, wobei man dabei nicht in die Touristenfalle treten darf, man kann sich nämlich die Steine trotzdem sehr nahe ansehen, ohne Eintritt zu zahlen. In einer Ferienwoche sind wir auch nach Dublin und Paris gereist. In England gibt es ziemlich billige, aber schöne Hostels (die Kette „YHA“ ist sehr empfehlenswert), man muss nur so früh wie möglich buchen. In meinem Projekt habe ich monatlich 190 Pfund Taschen- und Essensgeld bekommen, welches hauptsächlich für Zugtickets ausgegeben wurde. Da wir nicht kochen mussten, sondern in der Schulcafeteria essen konnten, hatte ich das ganze Geld für meine Freizeit zur Verfügung.
Wenn man dann einmal in der Arbeitsroutine ist, vergehen die Wochen und Monate wie im Flug. Täglich habe ich von 9 – 5 Uhr gearbeitet, wobei wir immer wieder Pausen hatten. Da England nicht so weit entfernt ist, hatte ich kein Heimweh, ich habe aber auch sonst keine/n Freiwillige/n getroffen, die/der über Heimweh geklagt hat. In den Osterferien habe ich dann aber einen Heimatsbesuch abgestattet. Man gewöhnt sich schnell an das neue Umfeld, aber es fallen einem schon immer wieder die vielen kleinen Unterschiede zu Österreich auf. Zum Beispiel musste ich meinen Ausweis vorzeigen, als ich in einem Geschäft eine Schere kaufen wollte oder, dass EngländerInnen denken, Toastbrot ist normales Brot. Sandwiches und ein gutes altes Pub findet man an jeder Ecke. Etwas schmunzeln mussten wir zwei Vorarlbergerinnen dann aber schon beim großen „Schneechaos“, was ca. vier Tage lang ungefähr 5cm Schnee am Boden bedeutet hat.
Als die sechs Monate vorbei waren, war es schon ziemlich traurig sich von allen Freiwilligen, MitarbeiterInen und SchülerInen zu verabschieden und zu wissen, dass man sie vermutlich nie mehr sehen wird. Natürlich haben mich viele eingeladen, sie in ihrem Heimatland zu besuchen, viele davon in Südamerika, aber davor muss ich wohl noch etwas sparen…
Meine Zeit in England werde ich nie vergessen und mir immer und immer wieder meine unzähligen Bilder ansehen. Nachdem das Projekt offiziell am 20.07.2018 beendet war, hatten wir eine Woche später noch unser ICYE Abschlusscamp und anschließend bin ich noch ein paar Tage in verschiedene Städte gereist. Der Rückflug nach Zürich, wo mich meine Familie abgeholt hat, war am 08.08.2018. Wieder zuhause angekommen wurde gleich eine große Portion Käsknöpfle verspeist.
Falls du dir das bis hier hin durchgelesen hast und dir auch überlegt den Europäischen Freiwilligendienst (neu ESK-Freiwilligendienst) in irgendeinem Land zu machen – mein Rat an dich: MACH‘S! Ich hatte nur sehr wenige negative Momente, es war überwiegend eine sehr gute und wichtige Erfahrung! Natürlich spielt das passende Projekt auch eine große Rolle. Man erlebt so viel und wächst als Person, deshalb würde ich es definitiv jedem/jeder weiterempfehlen und das aha Dornbirn ist dabei eine große Unterstützung.