Nach dem Abschluss meines Lehramtsstudiums in Innsbruck letzten Sommer, habe ich mir vorgenommen, noch ein Jahr „durchzuatmen“, bevor ich als Lehrer in der Schule durchstarten werde. Nun kann ich sagen, dass das vergangene Jahr ein sehr ereignisreiches und persönlich wertvolles war. Nach einer viermonatigen Südostasienreise kaum in Vorarlberg angekommen, ging es Anfang Februar ab nach Rumänien, um an einem interessanten ESK-Projekt teilzunehmen. Ich ging also dorthin, wo es kaum jemanden freiwillig hinzieht.
Die Anreise verlief sehr glatt. Glatt im wahrsten Sinn des Wortes, denn die Hälfte der Strecke von Bukarest nach Craiova verlief über eine nagelneue Autobahn. Und da soll noch einmal einer sagen, Rumänien hätte nur sehr veraltete Infrastruktur. Von meinen zwei Mentorinnen abgeholt, zog ich noch am selben Abend in meine neue Wohnung mit dem klingenden Namen „Bronx“ ein. Als am Tag darauf Vincent aus Frankreich in unsere 4er-WG einzog, waren wir schließlich komplett. Mit meinen MitbewohnerInnen aus Frankreich und Deutschland verstand ich mich von Anfang an sehr gut. Des Öfteren haben wir spontane Dinner Abende veranstaltet. Neben französischen Crêpes und Quiche, durften Vorarlberger Kässpätzle natürlich nicht fehlen. Diese kamen sehr gut an bei den acht Freiwilligen unseres Projektes. Überhaupt waren die ersten Wochen sehr von Socializing geprägt: Zahlreiche Freiwillige der Organisation luden uns zu ihren Flat Partys ein, weswegen wir von Anfang an Kontakte zu Menschen aus aller Welt knüpfen konnten.
In Bezug auf das Projekt ging es zuerst hauptsächlich um das gegenseitige Kennenlernen, damit wir als Gruppe zusammenwachsen und gemeinsam Dinge anpacken können. Das On-Arrival Training in Bukarest war definitiv DER Höhepunkt dieses sehr ereignisreichen ersten Monats. Dort hatte ich die Möglichkeit, mich mit meiner eigenen Persönlichkeit sowie mit meinen Lebenszielen tiefer auseinanderzusetzen. Außerdem traf ich dort auf andere sehr inspirierende Freiwillige aus ganz Rumänien. Sich selbst am besten zu kennen ist enorm wichtig für ein glückliches und erfüllendes Leben. Das hat mir diese Auslandserfahrung nochmals klar gemacht!
In den folgenden Wochen ging es dann endlich in die Schulen, wo wir verschiedene Activities veranstalteten, um den SchülerInnen die EU näher zu bringen. Diese fanden bei den meisten Teenagern sehr viel Zuspruch, weswegen wir uns bereits eifrig für die nächsten Wochen vorbereiteten. Soweit kam es aber leider nie, denn die Schulen mussten wegen der sich ausbreitenden Covid19-Pandemie zusperren. Das war ein Schock für uns alle! Aufgeben war allerdings nie eine Option für uns! Wir fanden schnell eine Alternative, sodass wir unser Projekt unter geänderten Umständen trotzdem fortführen konnten. Von nun produzierten wir zahlreiche YouTube-Videos. Da wir während des Lockdowns plötzlich viel Zeit hatten, steckten wir viel Aufwand in die Produktion unserer Videos. Wenn ich deine Neugierde auf unsere Produktionen geweckt habe, empfehle ich dir einen Blick in unseren YouTube-Kanal!
Aufgrund der Ausgangssperre gestaltete sich die Freizeit nun ausschließlich im „Bronx“. Diese verbrachten wir mit Brett- und Kartenspielen, gemeinsamem Kochabenden, dem Lernen von Rumänisch, Französisch und Deutsch (auch relevant für mich…😉) sowie spontanen Diskussionen zu politischen und gesellschaftlichen Themen und den Eigenheiten unserer Heimatländer. Die Stimmung in unserer WG war sehr gut, doch das ständige „Aufeinanderkleben“ in denselben vier Wänden weckte in uns allen das Bedürfnis, auch einmal Zeit nur mit sich selbst zu verbringen. Deswegen „verschanzte“ ich mich von Zeit zu Zeit in meinem Zimmer, wo ich einfach nur meine Bücher las oder verschiedene Serien anschaute. Auch bei meinem täglichen Spaziergang durch Craiova konnte ich Motivation und Optimismus in der schwierigen Zeit des Lockdowns „auftanken“. Gerade für die eigene Persönlichkeitsbildung war die zweimonatige Phase der Ausgangssperre gut. Ich wurde gelassener, flexibler und optimistischer! Die Situation anzunehmen und das Beste daraus zu machen, habe ich dabei gelernt.
Mitte Mai kam dann die überraschende Nachricht der anderen vier Freiwilligen, dass sie ihre Heimreise sobald wie möglich antreten wollen. Daraufhin kippte auch die Stimmung in unserer WG: Plötzlich wollten alle nachhause gehen, außer mir! Ich wollte bleiben, denn ich hatte das Bedürfnis, Rumänien noch besser kennenzulernen. Die Abreise all meiner ProjektteilnehmerInnen schmerzte sehr, denn in einigen habe ich neue Freunde gewonnen. Das Projekt wurde trotzdem noch online fortgesetzt.
Als es zu den ersten Lockerungen kam, hatte ich gemeinsam mit den verbliebenen Freunden in Craiova die Möglichkeit, Rumänien besser zu erkunden und meine in der Quarantäne erworbenen Sprachkenntnisse auszupacken. An fast jedem Wochenende ging es irgendwo anders hin. Ich hatte ja schließlich etwas nachzuholen! Die Städte Braşov, Sibiu, Timişoara, Cluj-Napoca, die Berge im karpatischen Retezat-Nationalpark und natürlich das Schwarze Meer besuchte ich. Gerade in Bezug auf die Natur hat Rumänien echt viel zu bieten und wird, glaube ich, sehr unterschätzt. Auch kulinarisch hat dieses Land einiges zu bieten: Ich liebe die zahlreichen Spezialitäten in den Bäckereien. Von Covrig, einem ringförmigen Brot mit allen möglichen süßen und pikanten Füllungen, bis Plăcintă, einem flachen Blätterteiggebäck gefüllt mit Käse, habe ich vieles ausprobiert. Positiver Nebeneffekt am Leben in Rumänien waren natürlich die geringen Lebenshaltungskosten. So konnte man sich des Öfteren Dinge gönnen, die zuhause kostspielig wären, wie zum Beispiel Taxifahrten und Pizzabestellungen. An mittelmäßig schmeckendes Bier in 2,5l Plastikflaschen zu einem Preis von 1,5 Euro habe ich mich ebenfalls gewöhnt.
Trotz der vielen offensichtlichen Probleme haben mich das Land und seine Menschen in vielerlei Hinsicht überrascht! Gleichzeitig haben sich allgemeine negative Vorurteile über Rumänien keineswegs erfüllt. Ich bin enorm dankbar für die Erfahrungen, die ich während der letzten sechs Monate machen durfte! Mulţumesc Romania, la revedere!