AuslandESK-Freiwilligendienst

Not for Sale im Amsterdamer Rotlichtviertel

10 Monate Amsterdam!? – legales Marihuana und das berühmte Rotlichtviertel war meist das allererste, was meinen Bekannten einfiel, als ich ihnen von meinen EFD-Plänen erzählte. Lustigerweise hatte meine Arbeit auch wirklich einiges mit Drogen und auch dem Rotlichtmilieu zu tun, allerdings meist von ganz anderen Seiten betrachtet.

Ich hatte das Glück insgesamt an sechs verschiedenen sozialen Projekten in ganz Amsterdam beteiligt zu sein und konnte somit in unheimlich viel Unterschiedliches und Spannendes hineinschnuppern. Von Obdachlosen, Drogenabhängigen, über Schwerhörige bis Kleinkindern, singen, kochen und Mensch-ärger-dich-nicht spielen war alles dabei. Ich will euch hier aber nicht mit gar allem konfrontieren (das würde sonst entschieden zu lang werden ;)), sondern nur von meinem Donnerstagsprojekt auf den Wallen (so nennen Amsterdamer ihr Rotlichtviertel) erzählen.

NOT FOR SALE ist eine weltweite Organisation, die sich gegen Menschenhandel einsetzt. Hier in Amsterdam betreibt Not for Sale einen kleinen aber putzigen Shop und ein richtig gemütliches Restaurant, genannt Dignita, mit köstlichen Speisen und Desserts. Das Verrückte ist, dass sich das kleine Geschäft, das viele handgemachte Fairtrade Produkte verkauft, mitten im Rotlichtviertel befindet, zwischen dem Sex-Palast und einer Love-Boutique, also in einer Gegend in der eigentlich alles FOR SALE ist!

In den letzten paar Jahren hat Not for Sale in Amsterdam die Idee entwickelt, den Frauen hinter den Fenstern (also eigentlich ihren Nachbarinnen!) Suppe und Salat zu verkaufen. Dabei war es ihnen wichtig, gesundes und nahrhaftes Essen an diese Frauen zu liefern und aber auch noch ein wenig mit ihnen zu plaudern, falls sich die Möglichkeit ergibt. Generell wird so das ganze Viertel ein wenig im Auge behalten und auffällige oder verdachtserregende Anzeichen für Menschen- oder Misshandel werden dokumentiert. Die Organisation steht auch in Verbindung mit einer für diesen Bereich spezialisierten Teil der Polizei. Zudem bietet Not for Sale auch Kochtrainings im Restaurant Dignita an, für Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden oder aus der Prostitution ausgestiegen sind.

So wird eigentlich die Suppe, die an potentielle Opfer von Menschenhandel verkauft wird von anderen Opfern von Menschenhandel gekocht und hilft den letzteren dabei ein Kochdiploma zu erhalten. Tolles Konzept, findet ihr nicht? Die Organisation besteht vor allem aus freiwilligen Helfern, was heißt, dass wirklich jeder Freiwillige einen total wichtigen, oft flexiblen und verantwortungsbewussten Job hat, sich aber auch mit Verbesserungsvorschlägen und eigenen Ideen einbringen kann.

Generell arbeitete ich im Laden, bereitete Salate zu, beantwortete Telefonbestellungen und lieferte Suppe und Salat zu den Fenstern. Letztendlich beinhaltete meine Arbeit für Not for Sale aber soooo viel mehr als ich mir zu Beginn je vorstellen konnte!

Zum Beispiel musste die gekochte Suppe ja irgendwie vom Restaurant ins Geschäft im Rotlichtviertel transportiert werden. Schließlich wurde es meine Aufgabe wöchentlich mit circa 30 Liter Suppe, sowie sämtliche Salatzutaten auf einem Bakfiets, einem holländischem Transportfahrrad, eine halbe Stunde durch den gefährlichen Fahrradverkehr Amsterdams zu radeln. Außerdem wurde ich eingesetzt um für Frauen, die am Kochtraining teilnahmen  babyzusitten, im Restaurant einen Vorhang mit der Hand kürzer zu nähen, und einen Laute-von-sich-gebenden-Kühlschrank zu reparieren (leider vergeblich;().

Ein besonderer Moment war es auch, als ein Security Guard mich und eine andere Freiwillige zu einer Tasse Kakao einlud und zwar im Vorraum des Sex-Palast, direkt neben ziemlich fragwürdigen Plakaten, die für eine Peep-Show warben… Es gäbe noch einige skurrile und verrückte Geschichten mehr von meiner Zeit bei Not for Sale zu erzählen.

Generell jedoch, fand ich meine Arbeit dort einerseits herausfordernd, aber auch total spannend, interessant und toll. In diesem Projekt hatte man wirklich immer das Gefühl, erstens wertgeschätzt und aber auch mit allen individuellen Qualitäten gebraucht zu werden.

Natürlich kenne ich mich , in den schmalen Stegen, Gassen und Durchgängen des Amsterdamer Rotlichmilieus nun ziemlich gut aus (dank der Telefonbestellungen kenne ich auch so gut wie alle Straßennamen ;)), doch sehe ich auch viele Dinge nun mit anderen Augen als die täglichen Massen an Touristen. Auf jeden Fall weiß ich, dass die oft sehr, sehr knapp gekleideten Damen, die da so aufreizend und obszön an die Fenster klopfen und winken auch nur ganz normale Frauen sind, die oft gerne bei einem kurzem Gespräch über die Farbe von Nagellack diskutieren oder sich beschweren, dass sie doch keinen Brokkoli in ihrer Hühnersuppe mögen.