Elena Sezer verbrachte vergangenen Herbst via Workaway in Spanien – trotz Corona und anfänglichen Schwierigkeiten.
Workaway ist vermutlich das ultimative Portal für all jene, die auf eigene Faust arbeiten und reisen möchten. Trotz Corona bietet die Plattform zahlreiche Möglichkeiten, irgendwo gegen Kost und Logis Hilfe zu leisten – sei es durch Farmarbeit, Hilfe im Haushalt, als eine Art „Au Pair“ oder als Aushilfe in einem Hostel.
Worka… – was?
Ich habe meine erste Erfahrung mit Workaway und Work & Travel im Spätsommer 2020 gemacht. Also mittendrin im Covid-Gewusel und den Diskussionen bezüglich des nächsten Lockdowns. Die Entscheidung dazu war recht spontan – und mit spontan meine ich, dass alles innerhalb von gut 14 Tagen passierte: den Entschluss fassen, einen „Host“ organisieren, den Flug buchen und das Hinreisen. Mit einem gewissen Maß an Flexibilität finden via Workaway also auch ganz kurz Entschlossene einen Platz.
Aller Anfang ist schwer
Um ganz ehrlich zu sein: Die erste Stelle war ein Desaster. Bei der Recherche schien noch alles wie am Schnürchen zu laufen – nach vier bis fünf Nachrichten, die abgelehnt wurden, bekam ich schließlich eine positive Antwort von einer sechsköpfigen Familie im ländlichen Teil Valencias. Der Familienvater schrieb mir, sie hätten Interesse und der auf meinem Profil angegebene Zeitraum wäre für sie perfekt. Sie hätten vier Kinder von vier bis neunzehn Jahren und wären auf der Suche nach jemandem, der*die mit den Kindern Englisch spricht und sie babysittet. „Yes!“, dachte ich mir – ich hatte zwar nicht wirklich Erfahrung im Babysitten, doch das traute ich mir zu. Auch wenn das älteste Kind so alt war, wie ich. Da man auf Workaway für seine eigene Sicherheit selbst verantwortlich ist, wollte ich die Vertrauenswürdigkeit der Familie prüfen und stellte ihnen vor meiner Zusage noch Fragen: Habt ihr viel Erfahrung mit workaway? Was ist das Stundenausmaß? Wo lebt ihr und wie ist die Anbindung? Sie gaben mir auf meine Bitte hin auch den Kontakt des britischen Mädchens Alice, welches zu diesem Zeitpunkt auch über Workaway bei ihnen arbeitete. Nach einem kurzen Austausch mit Alice, wo ich meine größten Unsicherheiten ablegen konnte, sagte ich also zu – und machte mich eine Woche später auf den Weg zum Flughafen.
„Schick mir noch ein Foto von dir, damit wir dich erkennen können!“, schrieb mir Julio, der Vater. Gesagt, getan. Angekommen am Flughafen wurde ich von Julio und zwei seiner Kinder abgeholt und wir plauderten die knapp halbstündige Fahrt lang über sie und über mich. Die Landschaft wurde immer karger und wir entfernten uns von der Stadt, fuhren dann einen Hügel hinauf und plötzlich hieß es, wir seien da. Vor dem großen Eingangstor des gut ein Hektar großen Grundstücks der Familie standen zwei Buddha-Statuen, von innen hörte man bereits kleine Hunde bellen und wir fuhren ein, auf die beiden Fincas (sogenannte spanische Häuser) zu.
Erste Station: Nirgendwo in Valencia
In einer Finca wohnte die Familie, in der anderen ich – ja, ich hatte quasi ein Haus für mich. Klingt toll, oder? Abgesehen von der schlechten Isolierung und dem Gerümpel war es das auch, ich konnte mich zumindest zurückziehen.
Der Alltag der Familie haute mich jedoch um. Ich nahm an, dass die Kinder Schule hatten und ich einfach in ihrer Freizeit für sie verantwortlich war. Überraschung: keins der Kinder ging in die Schule – sie wurden von ihrer Mutter „gehomeschoolt“, zwei Stunden in der Woche, in ihrem Baumhaus. Den Rest des Tages waren sie unbeschäftigt. Die Eltern verschwanden einfach irgendwo auf dem Grundstück und kamen nur zu den Essenszeiten wieder. Ich hatte die Kinder also den ganzen Tag und wusste nicht recht, was anzufangen, da sie mich auch ignorierten, wenn ich versuchte, sie beispielsweise zum Spielen motivieren.
Die ersten drei Tage vergingen so, dann fragte ich die Eltern, was sie von mir eigentlich erwarten, was ich tun sollte den ganzen Tag. „Sprich einfach Englisch“, meinte Julio nur und lachte.
Zweite Station: Irgendwo in Alicante
Nach einer Woche hatte ich genug und da ich bereits währenddessen mit einem anderen Host, einer Familie in Alicante, Kontakt aufgenommen hatte (auch über Workaway), wechselte ich nach geschlagenen sieben Tagen die Provinz und quartierte mich bei meiner neuen Familie im ländlichen La Marina ein.
Die zweite Familie war wirklich was Besonderes: Die Mama, Nury, kam aus Argentinien, ihr Mann, Rudi, ist gebürtiger Tiroler und ihr 15-jähriger Adoptivsohn Michael kommt ursprünglich aus Kolumbien. Als wäre das nicht schon außergewöhnlich genug sind Nury und Rudi auch noch international bekannte und gefeierte Musiker*innen (Wiener und Berliner Symphoniker) und betreiben eine Akademie für Blechbläser*innen im Herzen von Alicante.
Sie hatten ihren Wohnsitz zwar in einem großen Landhaus in La Marina, pendelten unter der Woche der Arbeit wegen aber immer nach Alicante. Auch ihr Sohn wohnte montags bis freitags mit ihnen in der Stadt, da er dort zur Schule ging.
Sie brauchten also jemanden, der*die sich um ihr Haus, den einen Hektar mit zu bewässernden Bäumen und vor allem ihre Haustiere kümmerte: zwei Katzen, zwei Hunde und zwei Pferde. Ich bekam ein nett eingerichtetes Zimmer bei ihnen im Haus und während sie untertags in Alicante waren, hieß es für mich: Aufstehen um 7 Uhr, Pferde füttern, eine Runde joggen mit den Hunden, Stall ausmisten, den Haushalt machen, irgendwann gegen 15 Uhr Mittag essen (ja, Spanien…), ein bisschen Siesta, ausreiten, Pferde putzen, alle nochmal durchfüttern und gegen 23 Uhr zurück ins Bett.
Zwischendurch plauschte und half ich auch der 90-jährigen Großmutter, einer ebenfalls außergewöhnlichen Argentinierin, die aufgrund von Corona zusammen mit ihrer Familie wohnte. Obwohl mich ihre etwas skurrilen Ticks und das ständige „zur-Mikrowelle-rennen-weil-das-Essen-zu-kalt-ist“ ab und zu auf die Palme brachte, ist sie mir während der fünf Wochen doch ans Herz gewachsen. Genauso wie Nury, die mich immer bemuttert hat, mir erklärte, wie man Pferde richtig pflegt, einen Pool chlort und Pflanzen bewässert.
Da sie auf dem Land wohnten, waren sie auch nicht an die lokale Wasserleitung angebunden – sie hatten einen Tank, der etwa alle zwei Wochen von einer Firma befüllt werden musste. Zu meinen Tätigkeiten gehörte also auch das Empfangen von Arbeiter*innen, Elektriker*innen etc.
Ein zweites Zuhause
Die besten Tage waren am Wochenende – alle waren zu Hause, wir gingen gemeinsam mit den Hunden am Strand spazieren, redeten und es wurde immer fein gekocht. Manchmal spielten Michael und ich Basketball zusammen oder ich ging ausreiten mit Nury. Da ich der Pandemie wegen nicht wirklich Ausflüge in die Umgebung unternehmen konnte, lud mich die Familie für die letzte Woche meines Aufenthaltes ein, im kleinen Studentenheim in ihrer Akademie in der Stadt zu wohnen und dort die neue Bar zu betreiben. Morgens arbeitete ich und nachmittags fuhr ich ins Stadtzentrum, betrieb ein wenig Sightseeing und setzte mich in Cafés zum Lesen. Mit den dortigen Student*innen, größtenteils aus Lateinamerika, verstand ich mich gut und zu ein bisschen Latino-Fiesta kam ich auch noch. Das i-Tüpfelchen war jedoch das Wiedersehen mit zwei meiner spanischen Kumpels von meinem ESK-Einsatz in Rumänien.
Nach einem doch ein bisschen melancholischen Abschied, halte ich bis heute Kontakt mit der zweiten Familie – sie ist tatsächlich zu einer Art „sicherem Hafen“ für mich geworden.
Also?
Alles in allem habe ich mit Workaway allerlei erlebt –komisch unangenehme aber auch unglaublich schöne Momente und wahnsinnig nette und wahnsinnig … andere interessante Menschen kennengelernt. Auch habe Ich für mich gelernt, dass, wenn man allein ist und sich nicht wohl fühlt, seinem Gefühl nachgehen muss. Dass man nur selber etwas in Bewegung bringen kann und sich auch mal auf etwas einlassen muss. Und das aufregende an dem ganzen Work & Travel – man weiß wirklich NIE, was als nächstes passiert.
PS: Wer jetzt neugierig geworden ist und Lust hat, die Musikakademie von Nury und Rudi zu supporten (gar keine Werbung oder so) – man findet sie hier im Web auf Instagram und Facebook – ihre Musik ist toll und sie freuen sich über jedes Like.